Norra Tornen – »Innovationen Tower«

Norra Tornen – »Innovationen Tower«
Wie eine Treppe reckt sich der »Innovationen Tower« im Stockholmer Stadtteil Hagastaden in den skandinavischen Himmel. 120 Meter misst der erste der zwei Wohntürme des Projekts »Norra Tornen«, der im November 2018 fertiggestellt wurde. Der Turm ist nicht nur wegen seiner Höhe eine Präsenz: Die einzelnen Apartments sind würfelförmig übereinander gesetzt und geben einen Hinweis auf die modulare Bauweise. Den Turm umspannt eine sandbraune Betonfassade, die seine optische Dominanz untermauert. Die Rippenstruktur im Sichtbeton ist ein optisches Detail, das der Betonoberfläche Tiefe und Eleganz verleiht. Sein Zwillingsturm »Helix« soll 2020 fertig werden und 104 Meter messen.
Der Bau fordert mit seinen Maßen und seiner Form die Aufmerksamkeit des Betrachters. Die Fassadengestaltung sorgt dafür, dass er ein zweites Mal hinschaut.
Unter anderen Umständen hätten Kritiker »Norra Tornen« vielleicht als Monstrosität aus Beton bezeichnet. Stattdessen wird das Projekt in Stockholm als »Tor zur Stadt« gefeiert. »Norra Tornen ist ein industrielles Hochhaus, aber es versucht, ein menschliches Gesicht zu zeigen«, beschrieb OMA-Architekt Reinier de Graaf bei der Eröffnung des ersten Wohnturms seine Vision für das Projekt.
Für OMA stellte der Bau der Zwillingstürme diverse Herausforderungen dar. Die Baugrundstücke für die Projektentwicklung waren mit 660 und 575 Quadratmetern sehr eng und begrenzt. Außerdem waren sie kein unbeschriebenes Blatt: OMA übernahm die Pläne für Norra Tornen von Stockholms Stadtplaner Aleksander Wolodarski, dessen Idee nicht über die Entwurfsphase hinausgekommen war. De Graaf und sein Team entschieden sich, Wolodarskis Plan für zwei unterschiedlich hohe Türme beizubehalten. Beim Design folgten sie ihrem Anspruch »die nächste Generation von modernen Wohnformen zu schaffen, die größtmögliche Varietät mit einer limitierten Zahl an Fertigelementen zu kreieren und die übliche Formalität eines Wohnturms mit Individualität, Wohnlichkeit, sogar Menschlichkeit zu ersetzen.«
Der wohl riskanteste Schritt dabei war die Entscheidung, Elemente des Brutalismus in die optische Gestaltung von Norra Tornen einfließen zu lassen. Im Brutalismus entstandene Betonbauten haben ein solch sprichwörtlich schweres architektonisches Erbe hinterlassen, dass monumentale Bauten heute meist mit Stahl und Glas gestaltet werden. OMA sah jedoch Vorteile bei einer modularen Bauweise mit Betonfertigteilen. Die asymmetrische vertikale Form der Türme bekommt horizontal Spannung durch eine Würfeloptik: Sichtbetonwände springen vor und zurück, sodass der Eindruck von übereinandergestapelten Wohnwürfeln entsteht. Balkon-Flächen und Wohnbereiche mit großformatigen Fenstern wechseln sich ab.
Durch die Würfelform der Apartments kreierten die Architekten zusätzliche Fensterflächen, die mehr natürliches Licht in die Räume bringen – in Schweden mit seinen langen, dunklen Wintern ein bedeutendes Element des Wohnkomforts. Durch die Fertigbauweise wurden Verzögerungen beim Bau vermieden. Während der Wintermonate ist die Verarbeitung von Ortbeton wegen der kalten Temperaturen unmöglich. Die Fertigung der Betonelemente im Werk und anschließende Montage auf der Baustelle verkürzte die Bauzeit und damit die Kosten des Projekts.
Die Rippenstruktur der Elemente wurde mithilfe elastischer Strukturmatrizen in die Betonoberfläche geprägt. Eine Standard-Ausführung der Matrize wurde nach den Vorgaben der Architekten individuell angepasst: Anhand von Zeichnungen, die die Abstände zwischen den einzelnen Rippen, Winkel und Tiefe der Aussparungen genau definieren, wurde ein Positivmodell aus Holz gefertigt. Auf dem Modell wurden die Strukturmatrizen gegossen, mit denen der Betonverarbeiter in Schweden 1400 Betonelemente für den »Innovationen Tower« von Norra Tornen fertigte. Für den kleineren Zwillingsturm »Helix« werden 1300 Elemente produziert.
Dänischer Sandstein sorgt für die sandbraune Farbe des Betons. Die Anreicherung mit kleinem Gestein gibt ihm das Aussehen von Waschbeton. Die Matrizen wurden im Werk auf die Schalungen geklebt, dann wurde der Beton eingegossen. Nach dem Aushärten lassen sie sich problemlos vom Beton abziehen und die Struktur wird sichtbar. Für die polierte Optik der Betonoberfläche wurden die Elemente nach dem Entschalen mit einem Diamantschleifer poliert, bevor sie ihren Platz an der Fassade fanden.
Die heterogene Form und rau-elegante Außenhaut der Türme sind Ausdruck von de Graafs Anspruch, mit der gewohnten Uniformität und homogenen Fassadengestaltung bei Hochhäusern zu brechen. Die Rippen-Optik widerspricht gängigen Erwartungen und fesselt den Blick an das Gebäude. So dient die Fassade nicht nur als optische Vervollständigung des Entwurfs, sondern als Botschafter: Sinnbild für die Individualität, die sich in den Wohneinheiten verbirgt.